Klarer Fall von Durchwurschteln: Warum man als Weltmeister besser zurücktreten sollte

Klarer Fall von Durchwurschteln: Warum man als Weltmeister besser zurücktreten sollte
Bildbeschreibung: Fußball-Weltmeister in Brasilien 2014, Foto: Jefferson Bernardes / shutterstock.com

Ein Nachruf zu einer wichtigen Entscheidung. Jogi Löw wird die deutsche Mannschaft zur Euro 2020 führen. Ich halte diese Entscheidung sowohl in der Form, als auch von der Signalwirkung her, für sehr bedenklich. Kurz eine Erklärung meiner Perspektive und ein Blick zurück.

Als Entscheidungscoach ist es meine Aufgabe meine Klienten in einem Entscheidungsprozess zu mehr Klarheit zu führen, damit sie souverän und unter Anbetracht aller bekannten Fakten eine möglichst freie, angemessene und nachhaltige Entscheidung fällen.

Wie so eine Entscheidung von Fußball-Weltmeistern aussehen kann, haben Philipp Lahm, Miro Klose, Per Mertesacker und Bastian Schweinsteiger nach der letzten WM 2014 in Brasilien bewundernswert vorgemacht.

Die, die sich anders entschieden haben, stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen. Frei nach dem Motto „wird schon irgendwie gut gehen“.

Häme oder Genugtuung liegen mir fern. Ich bin selber Fußball-Fan und hätte mich sehr gefreut, wenn es besser gelaufen wäre. Doch wenn wir ehrlich sind, haben wir als Fans, „Hobby-Bundestrainer“ und Fußballfachleute gewusst, dass es eigentlich nicht viel besser laufen konnte. Selbst Manuel Neuer, als Kapitän und Weltmeister, räumte nach dem Ausscheiden gegen Süd-Korea ein, dass ein Weiterkommen nicht verdient gewesen wäre und dass in der nächsten bzw. übernächsten Runde, spätestens Schluss gewesen wäre. Die Mannschaft hätte es nicht verdient. Eine richtige, wenn vielleicht auch leider zu späte Einschätzung, wie ich finde.

Wer sich ein bisschen mit Fußball beschäftigt, wusste bzw. weiß, wie viel günstige Umstände zusammenkommen müssen, damit ein Titelgewinn nicht nur möglich ist, sondern auch Realität wird. In Brasilien ist dies 2014, nach mehreren Anläufen, auch mit Glück (dass natürlich jeder braucht) nach 1990 wieder gelungen. 2014, war dieser Erfolg in Südamerika, wo noch keine Europäische Mannschaft vorher den Weltpokal gewinnen konnte, nicht wirklich zu erwarten, geschweige denn, sicher. Mit einer Titelverteidigung, im Jahre 2018, in Russland, konnte nun daher ernsthaft, niemand wirklich rechnen.

Das diese Einschätzung nicht nur etwas mit generellen Wahrscheinlichkeiten zu tun hat, zeigt auch die Art und Weise, wie die deutsche Mannschaft, als amtierender Weltmeister ausgeschieden ist. Frankreich 2002, Italien 2010, Spanien 2014 und jetzt eben Deutschland 2018, schieden alle sehr klar als amtierende Weltmeister in der Vorrunde aus.

Wenn man sich dieses Ausscheiden, der obigen Teams, genauer anschaut wird man nicht umhinkommen, fast identische Ereignisse zu betrachten. Keines der Teams, konnte sich ein Ausscheiden in der Vorrunde vorstellen. Alle waren als Favoriten ins Turnier gegangen. Alle waren mit ihrer bewährten Taktik und System, und weitestgehend, mit den bereits etablierten, also den selben Weltmeister-Spielern ins Turnier gestartet. An der Linie stand praktisch immer der Weltmeister-Trainer (kleine, wie ich meine unbedeutende Ausnahme, Roger Lemerre war beim Titelgewinn Frankreichs vorher nur Assistenztrainer). Tore haben sie fast alle eher wenig bis keine geschossen und alle sind sie am Druck der Situation gescheitert.

Ineffektiv, verkrampft und zu langsam, sind die Attribute, die allen Mannschaften gemein war. Sie hatten einfach Angst. Trotz technischer Überlegenheit und mehr Erfahrung, konnten sie den vergleichsweise schwächeren Gegnern in der Vorrunde nicht effektiv und erfolgreich begegnen.

Neben den für den Fußballfachmann klaren Argumenten des Scheiterns der vier Teams, wie ´zu viele Spieler waren bereits über dem Zenit´, ´Spielsystem war vom Gegner bereits entschlüsselt´, ´Sicherheitsfußball´ etc. möchte ich zwei neue Argumente in die Diskussion einbringen, die nicht nur mit Fußball etwas zu tun haben.

 Glaubwürdigkeit

In einer Zeit des allgemeinen „Wider besseren Gewissens“ folgen leider auch Fußballspieler und Trainer, wie Jogi Löw jetzt, diesem traurigen Trend. Wer einmal als Spieler oder Trainer Weltmeister wurde setzt sich, ob er es will oder nicht, automatisch der Erwartungshaltung der Fans, Sponsoren oder der Nation aus, diesen Erfolg wiederholen zu wollen, wenn er ein weiteres mal bei einem Weltturnier antritt.

Man mag dies nicht mögen oder wollen, aber es ist ein Fakt. Wer antritt, muss die Titelverteidigung wollen und daran glauben. Und hier ist genau der Hacken. Als WM-Titelverteidiger muss man wissen, dass die Titelverteidigung eigentlich nicht möglich ist. Wer es trotzdem tut, macht sich schon in dem Moment, wo er es versucht ein Stück weit unglaubwürdig. Und das hat Folgen.

Mitspieler untereinander, der Trainer zur Mannschaft und umgekehrt. Die allgemeine Unsicherheit mündet in gut gemeinten Durchhalteparolen, aber das macht die Sache nur noch schlimmer. Statt die Probleme anzusprechen und konsequent Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen, wie ein neues Spielsystem, neue Spieler in Führungsrollen zu bringen, werden die Probleme, insbesondere das Kernproblem immer weiter zugedeckt. „Wir schaffen das schon“. „Wir haben das immer geschafft“. „Wir sind eine Turniermannschaft“. „Wenn es zählt sind wir da“. „Jetzt kommt der Neuanfang“.

Einige werden jetzt vielleicht einwenden, der FC-Bayern kann ja die Deutsche Meisterschaft auch in Serie gewinnen, oder die Königlichen von Real Madrid, die Champions League (jetzt zum dritten Mal in Folge). Doch hier liegt gerade der Unterschied zur Weltmeisterschaft. Die Wettbewerbe sind in keiner Weise vergleichbar.

Zum einen findet die WM nur alle 4 Jahre statt, die beiden anderen Wettbewerbe bekanntlich jedes Jahr. Die WM ist kein Vereinswettbewerb, von Spielern, die sich fast jeden Tag sehen und jede Woche in der Regel mindestens ein Pflicht- bzw. Punktspiel miteinander austragen. Bei der WM kommen Spieler zusammen, die in dieser Konstellation, wenn es hoch kommt alle paar Monate zusammen spielen. Der Trainer kann ihre Form und die jeweiligen aktuellen, individuellen Bedürfnisse nur ganz schwer einschätzen. Wer sich hier nicht 100%ig vertrauen kann, hat schon verloren.

Die Falle der Vereinnahmung

Zurückzutreten heißt auch „Nein“ zu sagen. Wer beschließt, nach dem Titelgewinn (oder wie Jogi Löw, jetzt nach dem frühen Ausscheiden bei der WM) trotzdem weiter zu machen, der setzt sich auch einer zunehmenden Vereinnahmung von allen Seiten aus, die ohnehin im Leben eines Fußballprofis sehr hoch ist. Ich rede nicht von den vielen Selfies oder Autogrammen, die von Profis erwartet werden.

Ich rede etwa von Werbekampagnen wie „Best NeVer Rest“, wo selbst eloquente und gestandene Weltmeister und Seriensieger wie Thomas Müller in Erklärungsnotstand kommen, was denn das jetzt wieder soll.

Ich rede von den Emotionen und Misstönen, die sich aus dem Foto Mesut Özils und Ilkay Gündogans mit dem Türkischen Präsidenten Recep Erdogan ergaben. Immer wieder gibt es Möglichkeiten „Nein“ zu sagen, wie dies wohl Emre Can in dem Kontext tat. Aber leider kommt dies viel zu selten vor.

Ich schlage nicht vor, dass Fußballer aufhören Fußball zu spielen, nachdem sie Weltmeister geworden sind. Ich möchte auch nicht andeuten, dass ein Trainer, wie Jogi Löw, zwangsläufig hätte zurücktreten müssen, nachdem er einmal Weltmeister geworden ist oder jetzt, nachdem er mit seiner Mannschaft früh ausgeschieden ist.

Nach dem Gewinn des Confed Cups 2017, sowie des Gewinns der U-21 Europameisterschaft hatte Deutschland gefühlt 50 Spieler, die man alle zur WM mit nach Russland hätte nehmen können. Wie viel glaubhafter, wie viel stärker und wie viel erfolgreicher wäre man gewesen, wenn man diesen guten Weg konsequent weiter gegangen wäre?

Statt sich von einem Erfolgsdenken, einem Sicherheitsdenken und einer Angst des Versagens vereinnahmen zu lassen, hätte Jogi Löw die Freiheit, die er sich mit seinen Spielern beim Confed Cup so bravourös erarbeitet hatte, weiter konsequent ausbauen sollen.

Stattdessen Vereinnahmung durch Sponsoren, DFB, Kanzlerin und den „Irrglauben“, dass man Bewährtes nicht ändern sollte.

Ein angemessener Rücktritt ist kein Rückschritt

Wer die Zeichen der Zeit erkennt, erkennt auch die Chancen, die mit einem Rücktritt und einer Veränderung gegeben sind. Ich meine, es ist Zeit, dass in Deutschland und auch in anderen Fußball-Nationen, ein neuer Wind weht, sowohl was das Personal angeht, als auch das Spielsystem.

Nachdem Jogi Löw sich jetzt für das Bleiben entschieden hat, sind die Spieler an der Reihe sich zu erklären. Bisher ist keiner zurückgetreten, außer Sandro Wagner vor der WM. Jetzt sind meiner Meinung nach die Führungsspieler gefragt, ein Signal zu setzen. 2014 war dies der Kapitän selbst, Philipp Lahm.

Zum Abschluss, noch ein Beispiel und ein wenig Inspiration, wie man es auch machen kann, wenn man erst später lernt, den besten Zeitpunkt für einen Rücktritt zu finden. Zinedine Zidane musste selbst, als Spieler und amtierender Weltmeister 2002, erfahren, wie schmerzhaft und schwierig eine Titelverteidigung ist. Nachdem er jetzt, 16 Jahre später, die Champions League als Trainer, dreimal in Serie gewonnen hat, sucht er sich neue Herausforderungen. Er verlässt Real Madrid, freiwillig.

Chapeau an alle, die jetzt bereit sind einen ähnlichen Weg zu gehen.

Ihr Felix Schürholz,  Kontakt

Coaching & Entscheidungscoaching im Naturheilzentrum Grünwald, Am Rathausplatz 1  im Kurz´nhof  (Grünwald liegt im Süden von München)

CoachFelix