Die Macht der Verdrängung: Wahlblindheit (Choice Blindness)

Die Macht der Verdrängung: Wahlblindheit (Choice Blindness)
Bildbeschreibung: Wahlblindheit, Foto: Vlad_Chorniy

Wir sehen die Welt, so wie sie uns gefällt! Bevor ich das Phänomen der Wahlblindheit (Choice Blindness) im Detail beschreibe, vorab ein kleines Gedankenexperiment. Empfinden Sie Alkohol für unsere Gesellschaft eher als Bereicherung, neutral oder eher negativ?

Bitte stimmen Sie kurz geistig für sich ab: Bereicherung, neutral oder eher negativ?

Wir sehen die Welt, so wie sie uns gefällt! Ich könnte auch formulieren: „Wir sehen die Welt, so wie es unser Unbewusstes es uns erlaubt, sie zu sehen.“ Das hört sich doch schon ganz anders an. Sind wir gar nicht frei, die Welt so zu sehen, wie wir wollen, oder gibt es doch einen Weg?

In meinem letzten Artikel habe ich den Einfluss von Abwehrmechanismen auf die Art und Weise beleuchtet, wie wir mit Entscheidungen umgehen. Kurz zur Erinnerung: Menschen, die Entscheidungen nicht als Chance wahrnehmen, aktivieren diverse Abwehrmechanismen wie Verdrängung, Verleugnung, Vermeidung, Verschiebung, Abspaltung, Verneinung oder alternativ phantasieren sich ihre eigene Realität, damit sie, in allen Fällen, weniger Angst und weniger Konflikte haben.

Ein weiterer Abwehrmechanismus, den ich auch in meinem letzten Artikel beschrieben habe, ist die Identifikation. Sie bildet die Überleitung und Verbindung zu meinem heutigen Artikel zum Thema der Wahlblindheit. Wir sind nicht nur bereit, in Extremsituationen, wie einer Entführung (Stockholm-Syndrom), uns mit unserem Aggressor zu identifizieren, wir sind auch bereit, wie das folgende Experiment zeigt, uns mit offensichtlich falschen Entscheidungen zu identifizieren.

Das Besondere an diesem Experiment ist, dass die Kategorie „Falsch“ hier nicht abhängig ist von Moral, Werten, Logik, Wünschen, Trieben oder Motiven, sondern einfach in der Tatsache begründet ist, dass der/die Teilnehmer(in) des Experiments, zur „Wahlblindheit“, sich mit den Entscheidungen identifizieren, die sie eben nicht gefällt haben, oder anders ausgedrückt mit den Entscheidungen, gegen die sie sich entschieden haben.

Über das Experiment wurde zum ersten Mal 2005 in der Zeitschrift Science berichtet und hatte den wissenschaftlichen Titel: Failure to detect mismatches between intention and outcome in a simple decision task. Das Experiment wurde federführend von Petter Johansson von der Lund Universität ausgeführt, der darüber auch in dem hier angehängten Ted-Talk Video berichtet.

Was haben er und seine Kollegen gemacht? Die Teilnehmer an diesem Experiment wurden mit Bilder-Paaren von Personen konfrontiert, und sie sollten entscheiden, welches Bild bzw. welche Person sie attraktiver fanden. Das linke oder das rechte Bild? Nach ihrer Wahl erhielten sie das Bild und sollten erklären, warum sie sich für dieses Bild entschieden hatten. Was die Teilnehmer so gut wie nicht wahrnahmen, war die Tatsache, dass sie in einigen Fällen (aufgrund eines Taschenspielertricks), nicht das Bild bekamen, das sie ausgesucht hatten, sondern genau das andere, gegen welches sie sich entschieden hatten. Statt das Bild zurückzuweisen, erklärten die Teilnehmer mit der fast identischen Überzeugung (wie zu den normal gewählten und normal erhaltenen Bildern), warum sie sich eben für dieses Bild, was sie jetzt in den Händen hielten entschieden hatten.Worum ging es hier?

Im Zentrum ging es darum herauszufinden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass wir bereit sind, Entscheidungen, die wir normalerweise nicht fällen würden, oder gegen die wir uns unter „normalen“ Bedingungen entschieden hätten, unter jetzt anderen Bedingungen, diese dann als richtig und für uns und für unsere Person, als angemessen betrachten würden. Und? Die Wahrscheinlichkeit ist für die meisten sehr, sehr hoch und variiert ungefähr zwischen 73% und 87%.

Was bedeutet das?

Die Antwort als bedenkliche Perspektive formuliert: Ja, wir sind in einem hohen Maße manipulierbar. Wir sind bereit, selbst Dinge, Sachverhalte und Aspekte, gegen die wir uns entschieden haben, unter anderen Bedingungen, als richtig und als uns entsprechend anzunehmen. Wir sind bereit, selbst das „Falsche“, als für uns richtig anzusehen, wenn die äußeren Bedingungen dies, „als für uns günstig“, nahelegen.

Die Antwort als optimistische Perspektive interpretiert: Ja, wir sind fähig uns und unsere Meinung zu ändern, und uns auf neue Bedingungen einzustellen. Es ist uns möglich, unsere Vorurteile, unsere vorgefassten Meinungen, Prägungen und alte Einschätzungen zu revidieren und über Bord zu werfen. Die gute Nachricht, wir können uns ändern!

Doch Achtung, sind wir einfach, wie das sprichwörtliche Fähnchen im Wind, dessen Ausrichtung eben immer genau den äußeren Bedingungen entspricht?

Lassen wir uns das kurz einmal überprüfen. Am Anfang des Artikels, habe ich Sie zu Ihrer Einschätzung der Bedeutung des Themas Alkohol für unsere Gesellschaft befragt. Gestatten Sie mir, Sie jetzt noch einmal mit den folgenden Fakten, zum Thema Alkohol, zu konfrontieren. Ändert dies möglicherweise Ihre Einschätzung zur Bedeutung von Alkohol?

Fakten zum Thema Alkohol:

  • Alkohol stellt eine der gefährlichsten Drogen unserer Gesellschaft dar
  • Alkoholismus zerstört Millionen Familien, soziale Beziehungen und Karrieren (Steinglass et al. 1985)
  • Millionen Kinder von Alkoholikern wachsen oft in einem gestörten Familienmilieu auf. Streit, sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlungen kommen dort öfter vor, als im Durchschnitt (Mathew et al. 1993; Velleman and Orford 1993; Famularo et al. 1992)
  • Die Kosten von Alkohol für die Gesellschaft:
  • Alkohol verursacht in vielen Bereichen des Lebens Kosten (nur Deutschland, pro Jahr): am Arbeitsplatz (59 Mrd. einschließlich der Kosten für vorzeitigen Tod), Gesundheitsversorgung und Behandlung (22 Mrd. €), Kriminalität (33 Mrd. €) und Schäden durch Verkehrsunfälle (10 Mrd. €).
  • Wenn man über diese materiellen Verluste hinaus auch alkoholbezogenen Schmerzen und Leiden und auch dem Leben an sich einen Wert beimisst, so gelangt man (nur für Deutschland, pro Jahr) zu wesentlich höheren Zahlen, 150 — 700 Mrd. € im Jahr, abhängig davon, wie hoch das Leben bewertet wird
  • Die Alkoholindustrie gehört mit ca. 750.000 Arbeitsplätzen zu den größten Industriezweigen Europas (und vielen mehr, die mit der Alkoholindustrie indirekt verbunden sind). Der Handel mit Alkohol trägt 9 Mrd. zur Handelsbilanz bei. (Bedenken Sie, wirksame Maßnahmen der Alkoholpolitik müssen nicht notwendigerweise zu Arbeitsplatzverlusten führen.)
  • Der Anteil an alkoholbedingten Todesfällen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren beträgt bei Männern 25% und bei Frauen 13%. [John, U. & Hanke, M (2002) Alcohol-attributable mortalityin a high per capita consumption country Germany, in: Alcohol and Alcoholism 37; 581-585]
  • Jährlich sterben ca. 42.000 Personen in Deutschland, deren Tod direkt (z.B. durch Alkoholmissbrauch) oder indirekt (z.B. durch einen alkoholisierten Unfallverursacher) in Verbindung mit Alkohol steht. [Alkoholkonsum und alkoholbezogene Störungen in Deutschland, Schriftenreihe des BMG. Band 128, Nomosverlag, 2000]
  • 12% der Verkehrstoten und 11% der Schwerverletzten gehen auf das Konto von Alkohol [Statistisches Bundesamt, Alkoholunfälle im Straßenverkehr 2004]
  • Fast jedes dritte Gewaltdelikt (wie zum Beispiel Mord, Vergewaltigung etc.) wird unter Alkoholeinfluss begangen. [Polizeiliche Kriminalstatistik Berichtsjahr 2004]

Wie stehen Sie jetzt zum Thema Alkohol?

Bereicherung, neutral oder eher negativ?

Haben Sie Ihre Meinung geändert haben? Wie fühlen Sie sich damit?

Können Sie, nachdem Sie diesen Artikel gelesen haben, das Thema „Wahlblindheit“ (also die Fähigkeit, sich auch mit falschen (opportunen) Entscheidungen schnell anfreunden zu können oder nicht zu wissen, warum Sie sich so oder entschieden haben) auch auf andere Bereiche Ihres Lebens übertragen?

Was gilt für Sie oder was soll für Sie gelten?

Sind Sie bereit Ihre Überzeugungen, unter immer neuen Bedingungen, zu hinterfragen und möglicherweise zu revidieren?

Zusammenfassung:

Wir sind möglicherweise keine optimalen Entscheider, wie das hier vorgestellte Phänomen der „Wahlblindheit“ nahelegt. Wenn wir Entscheidungen und Entscheidungsprozesse nicht als Chance wahrnehmen, sondern eher ängstlich, konfliktvermeidend oder opportunistisch, dann greifen wir und unser Unterbewusstes schnell und mit Sicherheit zu den vielen Abwehrmechanismen, die uns zur Verfügung stehen.

Das muss aber nicht so sein! Wir sind fähig zur Veränderung, wie das Phänomen der „Wahlblindheit“ auch zeigt. Wenn wir Entscheidungen als Chance betrachten, und bereit und fähig sind, das ganze, mitunter auch komplexe, und häufig auch konfliktreiche Bild anzunehmen, werden wir fähig, für bessere, nachhaltigere, intelligentere und kreativere Entscheidungen.

Wir haben eine Wahl! Es gibt einen Weg! Wir können in der Welt leben, in der wir leben wollen!

Diese Veränderung passiert jedoch nicht von allein! Wir müssen dafür etwas tun und uns neuer und effektiver Methoden und Werkzeuge bedienen.

Decision Timing (auf Deutsch Entscheidungsterminierung) – Eine proaktive Entscheidungsentwicklung! ist so eine Methode und Prozess. Es reicht nicht, sich nur auf Intuition und Bauchgefühl verlassen zu wollen. Wichtige Entscheidungen sind in der Regel komplex und konfliktbeladen. Hier hilft nur eine, der Komplexität angemessene Methode, die, mitunter Zeit braucht, und die dank der genutzten Zeit, auch eine tatsächliche und nachhaltige Veränderung und Entwicklung ermöglicht. Schnellschüsse sind bei wichtigen Entscheidungen nicht angemessen. Gehen Sie proaktiv, unvoreingenommen, nachhaltig, strukturiert und kreativ (das schließt sich nicht aus) an Ihre wichtigen Entscheidungen heran.

Machen Sie sich mit dem System und den Methoden des Decision Timings vertraut.

Zur genauen Anwendung und detaillierten Beschreibung empfehle ich mein Buch “Decision Timing: More Awareness, New Insights, Smarter (Method & Tool assisted decision making) erhältlich als E-book oder Taschenbuch auf Amazon.

Mehr Informationen zum Thema Decision Timing gibt es auch auf meinem englischsprachigen Blog www.decisiontiming.com

Ich freue mich über Ihre Rückmeldung und Anfragen zum Thema Decision Timing.

Ihr Felix Schürholz,  Kontakt

Coaching & Entscheidungscoaching im Naturheilzentrum Grünwald, Am Rathausplatz 1  im Kurz´nhof  (Grünwald liegt im Süden von München)

CoachFelix

2 Gedanken zu “Die Macht der Verdrängung: Wahlblindheit (Choice Blindness)

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