Sind suboptimale Entscheidungen schwierig? Natürlich nicht! (Über die Anwendung von Abwehrmechanismen in der Entscheidungsfindung)

Sind suboptimale Entscheidungen schwierig? Natürlich nicht! (Über die Anwendung von Abwehrmechanismen in der Entscheidungsfindung)
Bildbeschreibung: Abwehrmechanismen in der Entscheidungsfindung, Foto: Dreams Come True

Unangenehme Dinge verdrängen wir gern. Zum Beispiel Fragen oder Sachverhalte, die uns Angst machen. Statt uns der Angst zu stellen, neigen wir dazu, uns zunächst einmal zu wehren. Dies kann ein ganz aktiver und bewusster Akt sein, oder es kann sich aber auch um einen ganz unbewussten Prozess handeln.Wir und/oder unsere Psyche machen dicht. Verdrängung und Verleugnung als Strategien der Angstvermeidung, aber auch als Selbstschutz in Extremsituationen.

In diesem Artikel geht es jedoch nicht vordergründig um Extremsituationen, wie etwa einen schweren Verkehrsunfall, eine Naturkatastrophe oder einen Angriff auf Leib und Leben, sondern den Umgang mit wichtigen Lebensentscheidungen, die potenziell, ganz entspannt, auf dem heimischen Sofa, oder in der Hängematte, an einem Traumstrand, gefällt werden können. Wie kommt es, dass unsere Psyche, die gleichen „Not“-Abwehrmechanismen aktiviert, wenn wir uns fragen, ob wir uns eine neue Wohnung suchen sollten oder uns vielleicht, auf eine andere Stelle, bewerben müssten?

Überraschender noch, wie kommt es, dass viele von uns gar nicht bereit sind, sich diese einfachen Fragen überhaupt zu stellen oder anzuerkennen, dass es sich bei diesen Fragen, um schwierige und komplexe Entscheidungen handeln könnte?

Noch weiter gefragt, wie kommt es, dass wichtige Entscheidungsprozesse generell gar nicht als Herausforderung im gesellschaftlichen und persönlichen Kontext wahrgenommen werden? Passt wirklich alles so wie es ist, oder haben wir einfach Angst etwas zu verändern?

Menschen entscheiden sich nicht gern! Menschen schieben Entscheidungen, wie unangenehme Dinge, gerne vor sich her. Die Komplexität einer Entscheidung ist auf den ersten Blick selten sichtbar, besonders dann, wenn die Entscheidung auf 2 Optionen reduziert wird. A oder B, Hopp oder Top, wer will, oder kann, da überhaupt Energie investieren? Selbst wenn wir Energie investieren, gibt es ja keine Garantie, dass sich die Dinge so entwickeln, wie wir es angenommen haben. Schlimmer noch, mangels objektiver Kriterien und transparenter Prozesse, insbesondere bei persönlichen Entscheidungen, wissen nur die wenigsten, warum sie sich schließlich für das eine, und gegen das andere, entschieden haben. War unser Unbewusstes wieder am Werk, und wenn ja, warum hat es sich so entschieden?

Das obige Bild, des Mannes, der (bewusst oder unbewusst) seine Ohren verschließt, steht für die eingeschränkte und/oder gestörte Wahrnehmung eines Entscheiders. Genauso hätte er auch einen anderen Sinneskanal verschließen können, wie etwa seine Augen. Bei einem Abwehrmechanismus geht es darum, miteinander in Konflikt stehende psychische Tendenzen (Triebe, Wünsche, Motive, Werte) so zu bewältigen, dass die resultierende seelische Verfassung konfliktfreier bzw. weniger angstauslösend ist.

Das ICH oder die Psyche greift hier zu unterschiedlichen Mechanismen oder Strategien, die durch Anna Freud in ihrem Buch „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ 1936 ausführlich beschrieben wurden. In der Bewertung, ob Abwehrmechanismen für ein Individuum sinnvoll sind, gehen die Meinungen sicher auseinander. Positiv betrachtet dienen sie der Fähigkeit zur Selbststeuerung, wenn, zu diesem Zeitpunkt, keine bessere Lösung möglich ist. Als Analogie zum Thema der Verdrängung, könnte man etwa das Bild einer Person wählen, die sich aus einer für sie unangenehmen Gesprächssituation entfernt. Wird das Gespräch später, möglicherweise unter besseren Bedingungen, wieder aufgenommen, und es kann eine Klärung oder Lösung herbeigeführt werden, dann kann der Abwehrmechanismus der Verdrängung durchaus als funktional und, in dieser Situation, als angemessen betrachtet werden. Kommt jedoch ein anderer Abwehrmechanismus zum Einsatz, wie etwa die Verleugnung oder Spaltung, wird eine Lösung unwahrscheinlich bis unmöglich. In diesem Fall, wird die Realität verleugnet, oder es werden, durch und für das Individuum,  inkompatible Inhalte oder Sachverhalte so abgespalten oder aufgeteilt, dass sie mit der Realität nichts mehr zu tun haben. Die Konsequenzen sind dann, sowohl für das Individuum, als auch für die Gesellschaft alarmierend.

Zurück zum Kern des Artikels. Was haben Abwehrmechanismen mit Entscheidungsfindung zu tun?

Entscheidungen machen Angst, wenn sie nicht als Chance betrachtet werden!

Wer davon ausgeht, dass Entscheidungen oft unfreiwillig, eher mit Verlust, meistens mit ungewünschter Veränderung, eher suboptimal, häufig undankbar, oft unmöglich sind, der/die wird Entscheidungen in der Regel zunächst mit Abwehrmechanismen begegnen. Im Folgenden möchte ich daher auf diesen, für viele, sehr bedenklichen Aspekt, in der Entscheidungsfindung hinweisen und die wichtigsten Abwehrmechanismen und deren bedeutensten Auswirkungen für alle einmal sichtbar machen:

1) Verdrängung

Wen Entscheidungen ängstigen, der/die wird die Möglichkeit oder die Notwendigkeit einer Entscheidung immer verdrängen, ignorieren oder vertagen. Das Problem bzw. die Entscheidung, so die Hoffnung, wird schon irgendwie, von alleine, verschwinden. Obwohl die Verdrängung ein Abwehrmechanismus ist, hat sie sehr viel mit unserem Notfall-Programm des sich „Tot-stellens“ gemein.

2) Phantasien

Eingebildete Ereignisse oder auch negierte Sachverhalte (Verneinung) sollen die Notwendigkeit einer Entscheidung abwenden oder deren Tragweite, in einem anderen Licht erscheinen lassen. Sich selber oder den eigenen Erfolg, Einfluss, Macht oder Handlungsfähigkeit in einem besseren Licht darzustellen, hilft dem Individuum oft, Entscheidungen nicht tätigen zu müssen. Frei nach dem Motto „ich könnte ja jederzeit, wenn ich wollte“ wird die Realität verleugnet, vermieden, verschoben, abgespalten, verneint oder eben eine andere Realität phantasiert. In so einer „alternativen“ Realität sind Entscheidungen entweder nicht notwendig oder sie werden eben auf Basis „alternativer Fakten“ gefällt. So können eben auch ganz andere Dinge entschieden werden, die leichter, angenehmer und weniger weitreichend sind.

3) Isolierung, Rationalisierung, Intellektualisierung

Diese drei Abwehrmechanismen verbindet die Tatsache, dass sie versuchen die emotionale Komponente einer Entscheidung zu verdrängen, weg zu konstruieren bzw. auszublenden. Gründe, Argumente, Idealisierungen sollen Gefühle ersetzen. Wo keine Gefühle mehr sind, ist auch kein Platz mehr für Angst, so die Strategie.

Wie toxisch die Wirkung von mehreren Abwehrmechanismen in der Entscheidungsfindung sein kann, soll die Anwendung aller bisher erwähnten Mechanismen verdeutlichen. Mixen wir also folgenden bekömmlichen Cocktail aus Verdrängung, Phantasie, Verleugnung und Intellektualisierung und wir erhalten den immer wieder gern bestellten Klassiker: „Es gibt keine schlechten Entscheidungen!“ Bingo oder Prost! „Was trinken wir als Nächstes?“: mag das Unbewusste, oder der Tischnachbar jetzt fragen.

4) Identifikation

„Keine Angst vor Entscheidungen!“ Das hört sich doch schon besser an. Aber Achtung! Natürlich gibt es schlechte Entscheidungen. Verleugnung ist wahrscheinlich die schlechteste Entscheidung von allen. Kurzfristig mag Verleugnung, in besonderen Fällen, helfen. Die Identifikation bietet ein gutes Beispiel dafür. Vielen ist wahrscheinlich das Stockholm-Syndrom oder auch die Identifikation mit dem Aggressor bekannt. Durch Identifikation mit ihrem Entführer, Kerkermeister oder Aggressor versuchen Opfer oder Gefangene ihre Angst zu verringern. Achten Sie auf dieses Phänomen. Als Marker in diesem Zusammenhang, möchte ich Ihnen zur Erinnerung das „Schlechte Entscheidung-Syndrom“ oder die „Identifikation mit einer schlechten Entscheidung“ anbieten. In einigen wissenschaftlichen Experimenten zeigten viele Probanden dieses Phänomen sehr deutlich. Sie berichteten lieber eine schlechte Entscheidung zu fällen, als gar keine. Wie halten Sie es damit? Wie hoch sind die Kosten einer oder auch vieler schlechter Entscheidungen? Können und wollen Sie sich das leisten?

5) Regression

Regression bedeutet den Rückzug auf eine Entwicklungsstufe, auf der keine Ansprüche an reifes und verantwortliches Handeln gestellt werden. Im Bezug auf die Entscheidungsfindung könnte dies entweder bedeuten, jede Entscheidung zu blockieren,oder einfach irgendetwas zu entscheiden, Hauptsache eine Entscheidung wird gefällt. Obwohl von vielen als fair und unparteilich geschätzt, haftet zum Beispiel dem Münzwurf, dem Losverfahren oder der Lotterie bei näherer Analyse sicher etwas regressives an. Objektive Ungleichheiten, unterschiedliche Bedürftigkeiten oder Fähigkeiten werden in solchen Verfahren, ohne das wir uns dies bewusst machen, negiert.

6) Reaktionsbildung

Reaktionsbildung ist ein Verhalten, dass genau das Gegenteil von dem darstellt, was man/frau erkennt und zum Ausdruck bringen möchte. In der Entscheidungsfindung und in der Populärliteratur zur Entscheidungsfindung stellt, meiner Einschätzung nach, etwa der Fokus auf Intuition und Bauchentscheidungen eine solche Reaktionsbildung dar. Ich denke es ist klar, dass Entscheidungen nicht nur schwierig und sehr komplex sein können, sie erfordern auch die Fähigkeit des Entscheiders möglichst auf Basis von Fakten, ermittelten Risiken, stringenten Argumenten und vorhandenen Emotionen eine ausgewogene, belastbare und nachvollziehbare Entscheidung zu fällen. Darüber hinaus wäre es sehr sinnvoll, dass wichtige Entscheidungen möglichst proaktiv, kreativ, möglichst unvoreingenommen und nachhaltig gefällt werden. Mit einem Fokus, etwa nur auf Intuitionen und Bauchentscheidungen, wird dies nicht möglich sein.

7) Projektion und Verschiebung

Aufgrund von Verdrängung, Phantasien, Verleugnung, Regression und Reaktionsbildung, stellen sich die meisten Menschen auf den Standpunkt, sehr gute bis perfekte Entscheider zu sein.  Ausgehend von einem tiefen Wunsch, Entscheidungen mögen doch bitte einfach sein, entsteht sehr schnell der Glaube und die Vorstellung, Intuition und Bauchentscheidungen sind ausreichend, um die wichtigen Entscheidungen im Leben zu fällen. Bücher wie Blink von Malcom Gladwell oder Bauchentscheidungen von Gerd Gigerenzer haben dieser Vorstellung sicher noch Auftrieb verliehen, wobei ich keinem der beiden Autoren unterstellen möchte, sie hätten ihre Leser nicht auch auf die Einschränkungen dieser Sichtweise hingewiesen. Gladwell, zum Beispiel, verdeutlicht auch die Kehrseite von Intuitionen, etwa wenn es um die Gefahren geht, die von Stereotypen ausgehen, oder Gigerenzer, der einräumt, dass der erfolgreiche Einsatz von Intuition und Bauchentscheidung sich erst auf Basis eines Expertenwissens entfalten kann.

Projektion und Verschiebung kann hier in verschiedene Richtungen und sowohl in gleichartiger, als auch in unterschiedlicher Qualität stattfinden. Menschen, die Glauben oder sich wünschen, Entscheidungen mögen doch bitte einfach sein, können sich sehr leicht mit der Vorstellung anfreunden, dass es keine Methoden und Prozesse braucht, um diese Entscheidungen zu fällen. Genauso kann die Projektion auch dazu führen, dass Methoden und Prozesse abgelehnt werden oder als schwierig empfunden werden, weil die Entscheidung auch als schwierig gesehen wird. Der Konflikt mit der Entscheidung wird verschoben auf den Konflikt mit der Methode oder den Prozess. Statt das Problem anzugehen, wird eine Methode abgewehrt oder in Frage gestellt, damit das eigentliche Problem, aus dem Fokus der Aufmerksamkeit verschwindet.

 Zusammenfassung:

Die obigen Abwehrmechanismen in der Entscheidungsfindung dienen alle dem gleichen Zweck. Entscheidungen sollen durch Abwehr so entschärft werden, dass sie entweder als besonders leicht, wenig angsteinflößend und ohne großen Aufwand gefällt werden können, oder, dass sie gar nicht gefällt werden müssen, da eine Lösung selbst unter Nutzung von Prozessen und Methoden nicht möglich erscheint. Anders ausgedrückt, Abwehrmechanismen helfen dem Entscheider Entscheidungen als leichter anzusehen, als sie tatsächlich sind, oder schwerer zu erscheinen, damit eine Lösung erst gar nicht versucht werden muss. In beiden Fällen wird keine oder nur sehr geringe Entscheidungsenergie investiert, was in beiden Fällen zu keinen oder suboptimalen Entscheidungen führt. Eine Negativ-Spirale wird in Gang gesetzt. Weniger Aufwand führt zu immer weniger Erfolg, was zu mehr Angst und einem immer erhöhten Einsatz von Abwehrmechanismen führt. Misserfolg sät immer mehr Misserfolg und immer mehr Angst.

Die Lösung:

Entscheidungen werden als Chance betrachtet!

Konfliktvermeidung und Konfliktverdrängung wird ersetzt durch Konfliktlösung! Entscheidungen werden nicht verdrängt, vermieden, verleugnet oder vertagt, sondern proaktiv entwickelt. Der/Die Entscheider(in) nimmt sich Zeit und nutzt die notwendigen Prozesse und Methoden, um strukturiert, kreativ, unvoreingenommen und nachhaltig ihre/seine Entscheidung zu entwickeln. Der Prozess heißt „Decision Timing“ (auf Deutsch Entscheidungsterminierung) – Eine proaktive Entscheidungsentwicklung!

Zur genauen Anwendung und detaillierten Beschreibung empfehle ich mein Buch „Decision Timing: More Awareness, New Insights, Smarter (Method & Tool assisted decision making) erhältlich als E-book oder Taschenbuch auf Amazon.

Mehr Informationen zum Thema Decision Timing gibt es auch auf meinem englischsprachigen Blog www.decisiontiming.com

Ich freue mich über Ihre Rückmeldung.

Ihr Felix Schürholz,  Kontakt

Coaching & Entscheidungscoaching im Naturheilzentrum Grünwald, Am Rathausplatz 1  im Kurz´nhof  (Grünwald liegt im Süden von München)

CoachFelix

2 Gedanken zu “Sind suboptimale Entscheidungen schwierig? Natürlich nicht! (Über die Anwendung von Abwehrmechanismen in der Entscheidungsfindung)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert